- Die erste Säule enthält Regelungen zur Bewertung der Aktiva und Passiva, insbesondere zu den versicherungstechnischen Rückstellungen und zu den tatsächlich vorhandenen Eigenmitteln. Das Solvency Capital Requirement (SCR) beschreibt dabei die regulatorische Solvenzkapitalanforderung.
Zu begrüßen ist dabei die Ausgestaltung dieser quantitativen Säule 1: Sie sieht vor, dass ein Unternehmen entweder eine europäisch einheitliche Standardformel oder aber ein individuelles internes Modell (natürlich nur nach Zertifizierung durch die Aufsicht) zur Quantifizierung der Solvenzlage heranziehen kann.
Wir können nachvollziehen, dass die Zertifizierung eines internen Modells an strenge Regeln gebunden ist, um die Erstellung von solchen Modellen rein zum Zwecke der Kapitaleinsparung zu verhindern.
- Die zweite Säule beschreibt die qualitativen Anforderungen an Versicherungsunternehmen und Aufsichtsbehörden. Versicherer müssen das Vorhandensein einer Risikostrategie, einer angemessenen Aufbau- und Ablauforganisation, eines Internen Steuerungs- und Kontrollsystems und einer internen Revision nachweisen.
- Die dritte Säule behandelt Berichtspflichten sowohl gegenüber der Öffentlichkeit als auch gegenüber der Aufsichtsbehörde.
Die HUK-COBURG hat sich von Beginn des Solvency II-Projekts im Jahr 2001 an intensiv mit den anstehenden Fragestellungen auseinandergesetzt. Schnell reifte in unserem Unternehmen der Plan, das bereits bestehende stochastische ALM (Asset Liability Management)-Modell für die Lebensversicherung, also unser Modell zur Aktiv-Passiv-Steuerung aller Bilanzpositionen, und das im Aufbau befindliche ALM-Modell für die Schaden-/Unfallversicherung zu einem internen Modell gemäß Solvency II auszubauen. Ziel war und ist es dabei, die für die Versicherungsgruppe wirklich bedeutsamen Risiken „intern“ zu modellieren, während bei weniger gewichtigen Risiken – insbesondere dort, wo adäquate Modelle fehlen (z.B. bei operationellen Risiken) – die Modellierung aus dem Standard-Ansatz verwendet wird.
Die Zertifizierung eines internen Modells zur Bewertung der Aktiva und Passiva ist unter Solvency II daran geknüpft, dass dieses Modell zur Unternehmenssteuerung herangezogen wird. In diesem Zusammenhang beschäftigten wir uns auch mit der sogenannten „Wertorientierten Steuerung“. Obwohl ein Versicherer wie die HUK-COBURG nicht auf Kapitalgeber angewiesen ist, macht eine konsequente Wertorientierung des Managements auch für einen Konzern mit einem VVaG an der Spitze Sinn. Im Rahmen eines dreijährigen Projektes bauten wir daher eine integrierte „Risiko- und Wertorientierte Steuerung“ auf.
Als kostenbewusster Versicherer legen wir zudem großen Wert auf die Integration des Risikomanagements in die bestehenden Management-Prozesse. Risikosachverhalte finden sich zwangsläufig in allen Geschäftssteuerungsprozessen wieder. Nötig waren und sind praktikable und effektive Lösungen. Vorhandenes Wissen muss genutzt werden und doppelter Know-how-Aufbau ist zu vermeiden.
Bereits 2005 installierten wir daher ein Risiko-Komitee, das sich aus Risikocontrolling-Spezialisten aus den Bereichen Aktuariat, Kapitalanlage, Rückversicherung, Rechnungswesens und Zentralcontrolling zusammensetzt und als zentrale Schaltstelle im Risikomanagement fungiert. Diese effektive und kostengünstige Umsetzung der Risikocontrollingfunktion entspricht einer zwischen GDV und BaFin abgestimmten Verfahrensweise.
Solvency II wurde am 22. April 2009 vom EU-Parlament und am 10. November 2009 von den EU-Finanzministern verabschiedet. Nun geht es um den Erlass der entsprechenden Durchführungsbestimmungen, und hier entzünden sich erneut die Diskussionen. Sie betreffen alle drei Säulen.
Sorge bereitet uns der Trend seitens der Aufsicht, an sehr vielen Stellen zusätzlichen Sicherheitspuffer einzubauen. So war bei den Entwürfen der Durchführungsbestimmungen im Jahre 2009 eine deutliche Verschärfung auf breiter Front zu verspüren. Diese wurde bei der endgültigen Empfehlung von CEIOPS, des Komitees der europäischen Versicherungsaufseher, Anfang 2010 zwar in Teilen wieder zurückgenommen, letztlich werden aber in der anlaufenden fünften „Quantitative Impact Study“ (QIS 5), in der die aktuelle Standardformel europaweit getestet wird, trotzdem spürbare Verschärfungen gegenüber der letzten Studie (QIS4) bestehen bleiben. Wie hoch der zusätzliche Kapitalbedarf aus den verbliebenen Verschärfungen wirklich ist, bleibt abzuwarten.
Zusätzlich wird deutlich, dass die Komplexität der Standardformel zunimmt und zum Beispiel in der Lebens- und Krankenversicherung schon fast ein internes Modell notwendig ist, um die Befüllung der Standardformel mit Daten überhaupt gewährleisten zu können. Auch die Anforderung, dass ein Unternehmen, das die Standardformel einsetzt, im Rahmen der unter Solvency II obligatorischen unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (Own Risk Solvency Assessment, kurz: ORSA) die Signifikanz der Abweichung seines Risikoprofils von den Annahmen der Standardformel bewerten soll, ist ohne den ( zumindest partiellen ) Aufbau eines internen Modells kaum vorstellbar.
Schließlich sind die aktuellen Vorstellungen der europäischen Aufsicht bzgl. der Berichtspflichten, wie sie in den PreTests konsultiert werden, aus unserer Sicht deutlich überzogen. Die Kosten der Unternehmen würden dadurch unverhältnismäßig in die Höhe getrieben. Dies würde die ganze Branche treffen, besonders jedoch die kleinen und mittleren Unternehmen. Aber auch die Kunden blieben nicht verschont, denn steigende Kosten führen letztlich auch zu steigenden Beiträgen.
Resümee: Wir sehen in Solvency II eine große Chance sowohl für die Aufsicht als auch für die Unternehmen. Es müssen jedoch noch deutliche Anstrengungen unternommen werden, um Solvency II so zu gestalten, dass Kosten und Nutzen, die sich aus Solvency II ergeben, in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.