Transparenz nur für Experten

Im Rahmen von Solvency II müssen Versicherer deutlich mehr Informationen über ihre finanzielle Lage veröffentlichen. Für Experten wird das hilfreich sein. Die neuen Berichtspflichten werden aber nicht dazu führen, dass auch für den Verbraucher mehr Transparenz herrscht. Die Regeln zur Berichterstattung sind so kompliziert, dass weiterhin großer Erklärungs- und Interpretationsbedarf besteht.

Am 6. Juli 2015 hat die Europäische Versicherungsaufsicht (EIOPA) Ergebnisse der Konsultationsphase zum Set 2 der Implementing Technical Standards (ITS) und Guidelines (GL) zu Solvency II veröffentlicht. Das Paket präzisiert Vorgaben der Durchführungsbestimmungen zu allen drei Säulen von Solvency II. Damit werden wichtige operative Schritte für die Einführung der neuen Solvenzaufsicht vollzogen. Im nächsten Schritt sind die Vorschläge von der EU-Kommission noch zu verabschieden.
Bei den quantitativen Vorgaben der Säule 1 umfasst dies die technischen Standards zur Standardformel für die Berechnung der Solvabilitätskapitalanforderung (Solvency Capital Requirement – SCR). Leitlinien betreffen unter anderem die Behandlung langfristiger Garantien sowie die Bewertung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten. Für die Säule 2 (qualitative Anforderungen) umfasst das Paket zum Beispiel die technischen Standards zu Kapitalzuschlägen sowie Regelungen zu Finanz- und Sanierungsplänen. Weiterhin sind Leitlinien zur Verlängerung der Wiederherstellungsfrist für die SCR-Bedeckung enthalten. Teil des Pakets zur Säule 3 (Markttransparenz) sind technische Durchführungsstandards und Leitlinien zur Berichterstattung gegenüber den Aufsichtsbehörden und gegenüber der Öffentlichkeit.

Das klingt insgesamt kompliziert und ist es im Detail auch. Vor allem aber erschlägt die Komplexität des neu geschaffenen Regelwerkes. Dies verdeutlicht sich eindrucksvoll an dem riesigen Konvolut an Berichtsdokumenten, die die Versicherer künftig abzuliefern haben. Insgesamt 557 Vorlagen umfasst die Berichterstattung an die Aufsicht, davon betreffen wiederum 22 die Berichtspflichten gegenüber der Öffentlichkeit, mit mehreren hundert Einzeldaten.

Am 10. Juli 2015 hat die Aufsicht mit „Eiopa_BoS_15/154“ ein Papier veröffentlicht, in dem die Notwendigkeit einer weitgehenden Offenlegung gegenüber der Öffentlichkeit hervorgehoben wird. Hierin wird betont, dass Transparenz einer der Meilensteine von Solvency II ist. Die Offenlegung wichtiger Informationen im Bericht zur Solvenz und Finanzlage der Unternehmen (SFCR) soll dies garantieren. EIOPA geht davon aus, dass der SFCR eine einzigartige Möglichkeit für die Unternehmen ist, gegen die von den Versicherungsnehmern wahrgenommene Intransparenz und Unangemessenheit der bisherigen veröffentlichten Informationen anzugehen. Unternehmen sollen daher die Chance ergreifen und sich aktiv an einer konsistenten, vergleichbaren und qualitativ hochwertigen Kommunikation mit den Stakeholdern beteiligen und ihre finanzielle Lage darlegen.

Einige Mitgliedsstaaten erwägen, wesentliche Teile des SFCR im Hinblick auf eine korrekte und richtliniengemäße Ermittlung der veröffentlichen Informationen durch Wirtschaftsprüfer beurteilen zu lassen. EIOPA erkennt darin ein sehr wirksames Werkzeug, die hohen Qualitätsanforderungen zu verwirklichen. Es ist zugleich aber auch ein Beweis für die Komplexität und die Gestaltungsfreiheit bei den Solvenznachweisen und die offensichtliche Notwendigkeit einer unabhängigen Qualitätskontrolle. Vorbehaltlich des dadurch weiter ansteigenden Aufwands und vermutlich nicht unerheblicher Kosten, wäre dies sicherlich eine vertrauensbildende Maßnahme.
Dass Informationen zur Solvenz der Versicherungsunternehmen im öffentlichen Interesse sind, ist unzweifelhaft. So brachte aktuell die neuerliche Vollerhebung „Leben“ der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) zu Tage, dass ohne Anwendung der Übergangsmaßnahmen bei fast der Hälfte der befragten deutschen Lebensversicherungsunternehmen die Eigenmittel zum Stichtag 31. Dezember 2014 unter den künftigen Anforderungen lägen.

Für Experten dürfte die neue Berichtslegung daher interessante neue Informationen zur Finanzlage der Versicherer offenbaren. Ob sie aber entscheidend helfen wird, für Verbraucher Transparenz herzustellen, darf bezweifelt werden. Standardmodell, internes Modell, Übergangsmaßnahmen, Volatilitätsanpassungen, Basiseigenmittel und ergänzende Eigenmittel sorgen für reichlich Erklärungs- und Interpretationsbedarf im Hinblick auf die damit differenziert darstellbaren Bedeckungsgrade der Solvenzanforderungen. Es besteht daher die Gefahr, dass aus Mangel an Verständnis beim Verbraucher das Thema Solvenz in eine Art „Daumen rauf, Daumen runter“-Einschätzung münden könnte.

Text ursprünglich erschienen am 05.08.2015 in Herbert Frommes Versicherungsmonitor.