Finanzkraft in der Berufsunfähigkeitsversicherung

 

Dass Rating-Agenturen auf die Bedeutung der Finanzkraft und Bonität hinweisen, liegt in der Natur der Sache. Vor dem Hintergrund der Einführung von Solvency II und damit steigenden Sicherheitsmittelanforderungen gewinnt das Thema in der Versicherungsbranche grundsätzlich noch an Bedeutung. Kopfschmerzen bereitet den Versicherern dabei die Zinsmisere an den Kapitalmärkten. Das Niedrigzinsumfeld stellt vor allem die Lebensversicherer vor gravierende Herausforderungen.

Ein immer größerer Teil der Erträge aus Kapitalanlagen muss für die Finanzierung der Garantiezinsen aufgewendet werden. Seit 2011 haben die Gesellschaften marktweit mehr als 30 Milliarden Euro in die Zinszusatzreserve eingestellt. Je länger sich die Phase der niedrigen Zinsen fortsetzt, desto umfangreicher werden die zusätzlich aufzubauenden Sicherheitspolster zur dauerhaften Finanzierbarkeit der zugesagten Versicherungsleistungen. Allein für das laufende Jahr rechnen wir mit einem weiteren Aufwand für die Zinszusatzreserve von zwölf Milliarden Euro.

Die Einschätzung steigender Aufwendungen für die Zinszusatzreserve teilt auch der Exekutivdirektor der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Dr. Frank Grund. Laut einer Meldung im Versicherungsmonitor vom 19. Februar 2016 rechnet er sogar mit einem zusätzlichen Schub in den Jahren 2018 und 2019. Hiervon sind vor allem die konventionellen Lebensversicherungen betroffen, was sich in fallenden Überschussbeteiligungen niederschlägt und in der Öffentlichkeit bereits breit thematisiert wird. Dass die Zinsmisere aber auch für Risikoversicherungen Gefahren mit sich bringen kann, steht hingegen bislang nicht so sehr im Fokus.

Gleichwohl besteht hier ein gewisses Ansteckungsrisiko, weshalb das Thema der Finanzkraft auch bei Risikoprodukten einen hohen Stellenwert hat und im Rahmen von Auswahlentscheidungen potenzieller Produktanbieter eine Rolle spielen sollte. Ausgangspunkt dafür ist die Mindestzuführungsverordnung (MindZV). Sie enthält Regelungen zur Beteiligung der Kunden an den Ertragsquellen des Lebensversicherungsgeschäfts. Zum 07.08.2014 kam es im Rahmen des Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG) hier zu Anpassungen.

So müssen die Lebensversicherer ihre Kunden seither zu mindestens 90 % (vorher 75 %) am Risikoergebnis beteiligen. Die Dispositionsfreiheit über diese Ergebnisquelle hat sich damit für die Unternehmen verringert, im Gegenzug hat der Gesetzgeber aber Verrechnungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Ergebnisquellen zugelassen. Danach darf ein negatives Kapitalanlageergebnis mit einem positiven Risikoergebnis oder übrigen Ergebnis (quer) verrechnet werden. Dahinter steckt das Ziel, die Sicherheit für das Gesamtkollektiv der Kunden im Fall negativer Kapitalanlageergebnisse zu erhöhen.

Eine Maßnahme, die im Niedrigzinsumfeld durchaus Sinn ergibt. Diese Option steht den Lebensversicherern auch ohne explizite Zustimmung der BaFin offen. Im Fall der Fälle ist daher davon auszugehen, dass sie hiervon auch Gebrauch machen. Diese Möglichkeit stärkt zwar die Risikotragfähigkeit der Lebensversicherer insgesamt, kann sich allerdings insbesondere für die Versicherten in der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) als Nachteil erweisen. Gerade in der BU entstehen nämlich durch vorsichtig angesetzte Rechnungsgrundlagen hohe Risikoüberschüsse

Marktweit liegen sie bei rund 30 % der Prämie. Diese fließen zum Großteil über die Überschussbeteiligung, in der Regel in Form eines Sofortrabatts auf die Prämie, an die Kunden zurück.

Anhand eines durchschnittlichen Bestandsvertrages in der selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung (SBU) lässt sich dies verdeutlichen. 2014 betrug die kalkulierte Brutto-Bestandsprämie hier etwa 831 Euro. Bei einem Sofortrabatt aus Risikoüberschüssen von 30 % ständen im Fall einer vollständigen Absenkung der Überschussbeteiligung insgesamt etwa 250 Euro an rabattiertem Zahlbeitrag unter Risiko.

Der grundsätzliche Rat für Kunden und Vermittler, bei Preisvergleichen in der BU neben der Nettoprämie stets auch die Bruttoprämie im Auge zu haben, erhält durch die Möglichkeit zur Querverrechnung im angespannten Zinsumfeld eine zusätzliche Relevanz. Die Überschussbeteiligung von BU-Verträgen unterliegt damit nicht nur dem Risiko einer unzulänglichen Kalkulation. Auch im Fall einer ausreichenden Kalkulation der Beiträge besteht für BU-Versicherte das Risiko, zur Verlustdeckung bei nicht ausreichenden Kapitalanlageerträgen implizit herangezogen zu werden. Faktisch würde das bedeuten, dass das Teilkollektiv der BU-Kunden für das Teilkollektiv der Altersvorsorgekunden einspringt. Grundsätzlich sind auch andere Risikoversicherungen mit Sofortrabatt von dieser Gefahr betroffen. Allerdings sind die absoluten Beiträge in der BU regelmäßig deutlich höher, so dass hier das wirtschaftliche Risiko für den Kunden relevanter ist.

Dass ein negatives Kapitalanlageergebnis keineswegs aus der Luft gegriffen ist, belegt die Tatsache, dass 2014 im Branchendurchschnitt das reine Zinsergebnis, das heißt die laufenden Erträge aus Kapitalanlagen abzüglich der Garantiezinsanforderungen und der Zinszusatzreserve, bereits negativ war. Erst durch Auflösung von Bewertungsreserven, die in das übrige Kapitalanlageergebnis eingehen, wurde dies letztlich kompensiert. Dieses Vorgehen birgt jedoch, ähnlich wie ein Anstieg der Kapitalmarktzinsen, die Gefahr, dass die Substanz der stillen Reserven zurückgeht. Hierdurch nimmt die Wahrscheinlichkeit negativer Kapitalanlageergebnisse zu. Verantwortlich dafür sind vor allem die weiter steigenden Aufwendungen für die Zinszusatzreserve.

Durch die Querverrechnungsmöglichkeiten erhält die Finanzkraft eines BU-Anbieters eine noch größere Relevanz als zuvor. Das Thema umfasst weit mehr als die bisher in der Praxis zumeist zugrunde gelegte Leitfrage, ob ein Anbieter auf Dauer am Markt existieren kann. Vielmehr geht es darum, ob es einem Versicherer gelingt, nachhaltig stabile Beiträge sowie eine verlässliche und faire Leistungspolitik für die Kunden sicherzustellen. Denn geraten erst einmal die Beiträge unter Druck, sind auch Auswirkungen auf die Leistungsregulierung nicht auszuschließen. Neben einer auskömmlichen Kalkulation des BU-Bestandes stellt ein solides Gesamtertragsprofil die Voraussetzung dar, um das Ansteckungsrisiko der Garantierisiken im Altersvorsorgebereich auf den BU-Bestand möglichst gering zu halten. Strukturell sind die Lebensversicherer im Vorteil, die über eine starke Kapitalanlage mit substanziellen Bewertungsreserven, Kostenvorteile sowie Ausgleichsgeschäfte jenseits der konventionellen Lebensversicherungsgeschäfte verfügen.

Hintergrundinformationen

Die Rating-Agentur Assekurata hat zu diesem Thema am 24. Februar 2016 eine Studie unter dem Titel „Finanzkraft in der Berufsunfähigkeitsversicherung – Relevante Einflussfaktoren erkennen, messen und bewerten“ veröffentlicht. Diese geht der Frage nach, inwieweit sich die Zinsmisere im klassischen Lebensversicherungsgeschäft auch auf die Berufsunfähigkeitsversicherung auswirken könnte. Die nach dem Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG) geänderte Mindestzuführungsverordnung (MindZV) spielt hierbei eine große Rolle.

In der Studie stellt Assekurata die Wirkungszusammenhänge im Detail dar und analysiert dabei eine Vielzahl von Kennzahlen zur Finanzkraft der Lebensversicherer auf Einzelunternehmensebene. Hierbei beziehen die Analysten auch neue Kennzahlen mit ein, die durch die Angaben zur Beteiligung der Versicherten an den Erträgen gemäß § 11 MindZV erstmals darstellbar sind. Sie ermöglichen insbesondere eine Gegenüberstellung der gesamten Ertrags-potenziale mit den bestehenden Rechnungszinsanforderungen.
Die rund 50-seitige Studie kann auf den Internetseiten von Assekurata (www.assekurata.de) bestellt werden.

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