Nachdem der Referenzzinssatz zur Bildung der ZZR für 2016 auf 2,54 % gesunken ist, mussten die Lebensversicherer erstmals auch ihre Tarife mit einem Rechnungszins von 2,75 % nachreservieren. In den Wirkungsbereich der ZZR fallen nunmehr fünf Tarifgenerationen (4,00 %, 3,50 %, 3,25 %, 3,00 %, 2,75 %), deren Anteil an der konventionellen Deckungsrückstellung in der Branche Ende 2016 rund zwei Drittel beträgt. In der Spitze müssen einzelne Anbieter für etwa 85 % ihres Bestandes Zinszusatzreserven stellen. Zugleich haben die Lebensversicherer seit dem Bilanzjahr 2011 mit der ZZR die Garantiezinsanforderung in ihren Beständen effektiv reduziert
Diese liegt Ende 2016 unter Berücksichtigung der ZZR bei durchschnittlich 2,32 % (siehe Tabelle). Ohne ZZR lägen die Bestandsgarantien mit durchschnittlich 2,89 % um 57 Basispunkte höher. Ähnliche Effekte werden auch im größengewichteten Durchschnitt ersichtlich.
Hieran wird deutlich, dass die ZZR ökonomisch wirkt und die bilanzielle Widerstandsfähigkeit der Anbieter messbar stärkt. Allerdings belasten die jährlichen Zuführungen zur ZZR die Ertragslage der Lebensversicherer und damit deren finanziellen Spielraum für höhere Überschussbeteiligungen in beträchtlichem Maße.
Ein Vergleich der Zuführungen zur ZZR mit dem hiernach verbleibenden Rohüberschuss aus dem Jahr 2015 offenbart, dass bereits zu diesem Zeitpunkt beide Komponenten durchschnittlich etwa gleich hoch ausgefallen waren. Für das Jahr 2016 dürfte sich dieses Verhältnis aufgrund der nochmals deutlich gestiegenen ZZR-Zuführungen weiter zu Lasten des Rohüberschusses verschoben haben.
Die ZZR-Zuführung im Jahr 2016 summiert sich branchenweit auf einen neuen Höchstwert von 13 Milliarden Euro. Insgesamt erreichte der Bestand der in der Zinszusatzreserve vorhandenen Mittel zum Bilanzstichtag 2016 damit ein Volumen von rund 45 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu lag das gesamte handelsbilanzielle Eigenkapital der Lebensversicherer Ende 2016 bei schätzungsweise 16 Milliarden Euro. Damit haben die Lebensversicherer in den vergangenen sechs Bilanzjahren bereits knapp das Dreifache ihres HGB-Eigenkapitalbestands als zusätzliche Zinsvorsorge nachreserviert. Allein für die ZZR-Zuführung im Jahr 2016 mussten die Gesellschaften rechnerisch 1,60 % Nettozins aus ihren Kapitalanlagen erwirtschaften
Um die zukünftige Entwicklung der ZZR abzuschätzen, hat Assekurata in der „Marktstudie 2017 zu Überschussbeteiligungen und Garantien“ verschiedene Referenzzinssimulationen vorgenommen. In der folgenden Abbildung wurde dabei der aktuell maßgebliche Zeitreihenwert des Bezugszinses auf Basis der gesetzlich verankerten Rechenmethodik als Konstante in die Zukunft fortgeschrieben. Unter der Annahme exakt gleichbleibender Zinskonditionen würde somit der Referenzzins 2017 auf 2,17 % sinken. Damit wären erstmals auch die Verträge mit einem Rechnungszins von 2,25 % von der Zinsnachreservierung betroffen, die aktuell mehr als 15 % der gesamten konventionellen Deckungsrückstellung ausmachen. Erholt sich das Zinsniveau auch in den Folgejahren nicht, so wären ab 2019 bei einem Referenzzins von 1,46 % weitere zehn Prozent der Bilanzverpflichtungen mit einem Rechnungszins von 1,75 % zusätzlich reservepflichtig. Dabei weisen die Verträge der jüngeren Tarifgenerationen vergleichsweise hohe Durationen auf, weil es sich im Schwerpunkt um Rentenversicherungen mit noch hoher Restlaufzeit handelt, die bei anhaltenden Niedrigzinsen auf lange Sicht von der ZZR betroffen sein werden.
Um die langfristige Belastung der Branche durch die ZZR-Anforderungen genauer abschätzen zu können, hat Assekurata in der Marktstudie weitere Szenarien mit einem Prognosehorizont bis zum Jahr 2025 betrachtet. Unter der Annahme eines anhaltenden Niedrigzinsniveaus mit leicht schwankenden Zinsen ergibt sich bis zu diesem Zeitpunkt ein gesamtes ZZR-Volumen von rund 200 Milliarden Euro. Dieser Prognosewert lässt sich mittels des Sicherungsbedarfs, der erstmalig in der Marktstudie untersucht wurde, verifizieren. Bereits für das laufende Jahr rechnet Assekurata unter einem stagnierenden Zinsumfeld mit einer weiteren ZZR-Zuführung von insgesamt 20 Milliarden Euro, was branchenweit einen neuerlichen Höchstwert bedeuten würde.
Diese Hochrechnungen verdeutlichen, dass der Aufwand in der HGB-Erfolgsrechnung perspektivisch einzelne Gesellschaften überfordern könnte. Dies gilt nicht nur in einem anhaltenden Niedrigzinsszenario, sondern auch im Falle deutlich ansteigender Zinsen und einem damit verbundenen Absinken der handelsbilanziellen Bewertungsreserven auf festverzinsliche Kapitalanlagen, die derzeit noch zur Finanzierung der ZZR zur Verfügung stehen. Zugleich dürften die Anbieter dank Übergangsmaßnahmen aber regelmäßig noch in der Lage sein, die Kapitalanforderungen nach Solvency II zu erfüllen. Handelsrecht und Solvency II sind hier nicht ausreichend harmonisiert. Der Verbraucher dürfte für solche Irritationen kaum Verständnis aufbringen
An dieser Stelle ist der Gesetzgeber gefordert, die Dotierungsvorschriften zur ZZR hinsichtlich der Berechnungsmethodik zeitnah zu überarbeiten und für ein stimmiges Bild zu sorgen.
Hinzu kommt, dass die pauschale Berechnungsvorgabe der ZZR einem ausgeprägten Asset-Liability-Management (ALM) entgegen laufen kann. Da die Bewertungsreserven auf lang laufende Anleihen mit vergleichsweise hohem Kupon in Niedrigzinszeiten sehr hoch ausfallen, ist deren Realisierung über den Verkauf von Altpapieren ein probates Mittel zur Finanzierung der handelsbilanziellen ZZR-Zuführungen. Die mit dem Verkauf frei werdenden Gelder werden jedoch in der Regel nicht ausgeschüttet, sondern wieder angelegt. Dies erfolgt dann zu kapitalmarktnahen Wiederanlagezinsen, so dass die Bestandsrendite der Kapitalanlagen weiter sinkt. Darüber hinaus kann auch die Durationsstruktur der Kapitalanlagen durch kürzer laufende Neuanlagen beeinträchtigt werden. Somit können die pauschalen ZZR-Vorgaben dazu führen, dass der Grad, mit dem ein Kapitalanlagebestand hinsichtlich der Durationen und Cashflows auf die Verpflichtungsseite abgestimmt ist, geschmälert wird. Letztlich kann die handelsbilanziell positive Wirkung der Zinszusatzreserve dadurch einen negativen Einfluss auf die ökonomische ALM-Sicht und die Marktwertanforderungen unter Solvency II haben. Auch vor diesem Hintergrund ist eine sachgerechte Unterscheidung und Interpretation von HGB-Bilanz und Solvency-II-Bilanz unumgänglich.
Hintergrundinformationen
Mit der Marktstudie 2017 zu Überschussbeteiligungen und Garantien („Wenn Du eine Garantie haben willst, dann kauf Dir eine Lebensversicherung!?“) veröffentlichte die ASSEKURATA Assekuranz Rating-Agentur Anfang 2017 zum 15. Mal eine umfassende und differenzierte Erhebung zur Verzinsung von Lebens- und Rentenversicherungen aus den Bereichen Klassik, Neue Klassik und Indexpolicen sowie den damit verbundenen Garantien im Neugeschäft und im Bestand.
Die rund 150-seitige Studie kann einschließlich vieler Einzelauswertungen auf den Internetseiten von Assekurata (www.assekurata.de) bestellt werden.