Im Herbst 2017 sorgten Berichte über einen möglichen Run-off einiger großer Lebensversicherer für viele Schlagzeilen sowie große Aufregung in Öffentlichkeit und Politik. Der mögliche „Verkauf“ von Millionen Bestandskunden an externe Abwickler schürte Ängste, die private Rente sei womöglich in Gefahr. Mancher Anbieter sah sich angesichts verunsicherter Vertriebspartner, Kunden und Mitarbeiter gar genötigt, öffentlichkeitswirksam einen Run-off eigener Bestände explizit auszuschließen. Die BaFin ließ wiederum verlauten, dass mit einem Run-off erhebliche Restriktionen einhergingen, schließlich dürften die Kunden nach einer Bestandsübertragung nicht schlechter gestellt werden als zuvor.
Zur Ruhe gekommen ist die öffentliche Debatte allerdings nicht. Ein aktuelles Buch eines Brancheninsiders, welches den Crash der Lebensversicherung vorhersagt, sorgte im Januar 2018 für so große Aufmerksamkeit, dass im TV-Politik-Talkmagazin Hart aber fair sogar die Fragestellung „Crash der Lebensversicherungen – Panikmache oder echte Gefahr?“ diskutiert wurde.
Im Kern geht es damit um Ertrags- und Renditefragen aus Unternehmens- und Kundensicht sowie um das Vertrauen in die Leistungsfähig- und -willigkeit der Branche, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Widerhall hat diese Diskussion auch in der Politik gefunden, und prompt wird der Ruf nach verstärkter Regulierung bei der Übertragung von Versicherungsbeständen lauter. Vor dem Hintergrund der 2018 anstehenden Evaluierung des LVRG und der Notwendigkeit, die Regularien zur Bestimmung der Zinszusatzreserve zu überarbeiten, sind dabei Zweifel aus der Branche am eigenen Geschäftsmodell sicher kontraproduktiv.
Umrahmt wurde die Diskussion um die Ertragskraft des Lebensversicherungsgeschäfts von den 2017 erstmals veröffentlichten Solvency-II-Zahlen. Die Berichterstattung zu den Ergebnissen verlief vergleichsweise geräuschlos, konnten doch alle Lebensversicherer auf eine Überdeckung der Sicherheitsmittelanforderungen verweisen. In dem ein oder anderen Fall war dabei die Nutzung von Übergangsmaßnahmen geboten. Diese Kandidaten müssen aber mittel- bis langfristig ihre Eigenmittelbasis stärken und/oder ihre Risikoexponierung reduzieren. Die damit verbundene Transformation ist vielschichtig und betrifft sowohl die angebotenen Produkte als auch die Prozesse. Im Kern geht es jedoch darum, neben der Kapitalsubstanz auch die Ertragskraft zu stärken.
Ein wesentlicher Hebel ist hier die Kapitalanlage und dabei die Zinsentwicklung. Die Leitzinsen und die maßgeblich davon abhängigen Anleihezinsen verblieben im zurückliegenden Jahr 2017 auf niedrigem Niveau. Maßgeblich dafür war der unveränderte Kurs der EZB, die den Leitzins seit März 2016 bei null Prozent festgesetzt hat. Der Einlagesatz, zu dem Banken überschüssiges Guthaben bis zum nächsten Geschäftstag im Eurosystem anlegen können, liegt sogar bei minus 0,4 Prozent. Auch ihr Anleihekaufprogramm hat die EZB 2017 in breitem Umfang fortgesetzt. Bekanntermaßen zielen diese Maßnahmen darauf, die langfristigen Zinsen am Anleihemarkt zu senken und zusätzliche Liquidität ins Bankensystem zu schleusen sowie die Inflation auf ein Niveau von rund zwei Prozent zurückzuführen, letztlich um die Nachfrage und Investitionen in der Eurozone zu stabilisieren und anzukurbeln. Gleichwohl scheint die Talsohle der niedrigen Zinsen erreicht. Dies zeigt sich beispielsweise auch am Bezugszinssatz für die Bestimmung des für Lebensversicherer wichtigen Referenzzinssatzes für die Zinszusatzreserve. Dieser lag zum Bestimmungszeitpunkt im September 2017 bei 0,84 %. Im Vorjahr hatte er hingegen nur 0,51 % betragen.
Mit ihrer im Oktober 2017 getroffenen Entscheidung, das Anleihekaufvolumen ab Januar 2018 auf netto 30 Mrd. Euro zu halbieren, hat die EZB neue Phantasie für wieder steigende Zinsen im Markt entfacht. Zudem hat die US-amerikanische Notenbank FED den Nullzinspfad bereits im Dezember 2015 mit einer ersten Leitzinserhöhung verlassen und diesen seitdem in vier Schritten moderat angehoben. Der Zielkorridor liegt zurzeit bei 1,25 bis 1,50 Prozent. Da die US-Wirtschaft die Zinswende der Notenbank gut verkraftet hat, dürfte die EZB in den kommenden Jahren einen ähnlichen geldpolitischen Kurs einschlagen. Demnach könnte die Notenbank zunächst die Anleihekäufe beenden, bevor sie in mehreren Schritten die Zinsen erhöht, wobei Zeitpunkt und Umfang noch völlig ungewiss sind.
Damit müssen sich die deutschen Lebensversicherer und ihre Kunden zunächst weiterhin auf niedrige Zinsen einstellen. Die Erfüllung der Garantien behält deshalb unverändert höchste Priorität. Besonders herausfordernd ist hier die Risikovorsorge in Form der Zinszusatzreserve. Überraschend einig sind sich an dieser Stelle Unternehmensvertreter, Verbraucherschützer, Aufseher und andere Marktexperten in der Auffassung, dass es bei den Berechnungsmodalitäten einen dringenden Anpassungsbedarf gibt. Hier ist der Gesetzgeber gefordert.
Selten waren die wirtschaftlichen, politischen und medialen Rahmenbedingungen, unter denen die Lebensversicherer ihre Deklaration für das Folgejahr festlegen, so vielschichtig und spannend wie in diesem Jahr. Unverändert sind die Informationen zur Überschussbeteiligung nicht nur für Neukunden von Interesse, sondern vor allem auch für Kunden, die jahrelange Altersvorsorge in diesen Verträgen betreiben. Wie in jedem Jahr haben wir wieder alle Gesellschaften, unabhängig davon, ob sie im Neugeschäft aktiv sind oder sich die Verträge im Run-off befinden, zur Teilnahme eingeladen. Gerade angesichts der öffentlichen Diskussion gibt es aus unserer Sicht genügend Gründe für Lebensversicherer, durch eine Teilnahme für mehr Transparenz zu sorgen. Wir freuen uns daher, dass in diesem Jahr die Teilnehmerzahl wieder leicht zugenommen hat.
Hintergrundinformationen
Der Artikel basiert auf dem Vorwort der Marktstudie 2018 zu Überschussbeteiligungen und Garantien („Assekurata-Faktencheck: Hart aber fair!“). Mit der Studie veröffentlichte Assekurata im Februar 2018 zum 16. Mal eine umfassende und differenzierte Erhebung zur Verzinsung von Lebens- und Rentenversicherungen aus den Bereichen Klassik, Neue Klassik und Indexpolicen sowie den Garantien im Neugeschäft und im Bestand. Die rund 150-seitige Studie kann einschließlich vieler Einzelauswertungen auf den Internetseiten von Assekurata (www.assekurata.de) bestellt werden.