Alle Personen, die ein Versicherungsunternehmen leiten oder andere Schlüsselaufgaben übernehmen, müssen unter Solvency II die fit-and-proper-Kriterien erfüllen. Mit dieser Maßgabe stellen die fachliche Eignung und die persönliche Zuverlässigkeit grundlegende Organverantwortungen in einem wirksamen Governance-System von Versicherungsunternehmen dar.
Einleitung
Das deutsche Aufsichtsrecht verlangt von Versicherungsunternehmen eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation und ein leistungsfähiges Risikomanagement. Hierfür stehen besonders die Geschäftsleiter in der Verantwortung. Gemäß der Legaldefinition in § 24 Abs. 2 S. 2 VAG sind Geschäftsleiter „diejenigen natürlichen Personen, die nach Gesetz oder Satzung oder als Hauptbevollmächtigte einer Niederlassung […] zur Führung der Geschäfte und zur Vertretung des Versicherungsunternehmens berufen sind“. Der Begriff ist somit stellvertretend für die Vorstands- bzw. Geschäftsführungsebene im Versicherungsunternehmen zu sehen und wird im Folgenden einheitlich verwendet. Die Überprüfung, ob die Qualifikationsanforderungen regelmäßig und fortdauernd eingehalten werden, obliegt der BaFin im Rahmen der allgemeinen Rechts- und Finanzaufsicht i.S.d. § 294 Abs. 2 VAG.
Zum Nachweis der Qualifikation und zur Handhabung der Anforderungen in der Praxis veröffentlichte die BaFin am 20.02.2013 ein Merkblatt, das seitdem mehrfach aktualisiert wurde („Merkblatt zur fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Geschäftsleitern gemäß VAG“). Inhaltlich geht die Aufsichtsbehörde darin auf die Anzeigepflicht und die erforderlichen Unterlagen, die Anforderungen an die Geschäftsleiter, Geschäftsleiter-Mehrfachmandate sowie schriftliche interne Leitlinien ein. Parallel dazu hat die BaFin zwei weitere Merkblätter erstellt, die sich mit der fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit von Verwaltungs- und Aufsichtsmitgliedern sowie von Schlüsselfunktionsträgern befassen. Auf die drei Merkblätter wird auch in den MaGo explizit verwiesen, was deren praktische Bedeutung unterstreicht.
Anforderungen aus der Solvency-II-Richtlinie
In der Richtlinie 2009/138/EG (Solvency-II-Rahmenrichtlinie, SII-RRL) sind die Anforderungen an die fachliche Qualifikation und die persönliche Zuverlässigkeit in Artikel 42 verankert. Sie gelten explizit für alle Personen, die das Erst- oder Rückversicherungsunternehmen tatsächlich leiten oder andere Schlüsselaufgaben innehaben, beschränken sich also gerade nicht auf die Geschäftsleitung. Ähnlich zu den im deutschen Aufsichtsrecht bereits vorher verankerten Vorgaben muss diese Personengruppe nach dem Wortlaut von Art. 42 Abs. 1 jederzeit den folgenden Anforderungen genügen:
- a) Ihre Berufsqualifikationen, Kenntnisse und Erfahrungen reichen aus, um ein solides und vorsichtiges Management zu gewährleisten (fachliche Qualifikation).
- b) Sie sind zuverlässig und integer (persönliche Zuverlässigkeit).
Somit müssen die Inhaber der Geschäftsleitung und von Schlüsselpositionen sowohl fachlich qualifiziert (fit) als auch persönlich zuverlässig (proper) sein, demgemäß die fit-and-proper-Kriterien erfüllen. Diese Begrifflichkeiten wurden bereits im Jahr 2007 durch das Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors (CEIOPS) geprägt.
Genauere Inhaltsspezifizierungen der in der Solvency-II-Rahmenrichtlinie zunächst recht unbestimmten fachlichen Anforderungen lassen sich den Leitlinien (Guidelines) von EIOPA für das Governance-System entnehmen. Der Leitlinie 11 zufolge müssen die Mitglieder von Verwaltungs-, Aufsichts- und Managementorganen insgesamt mindestens in folgenden Themenfeldern Qualifikationen, Erfahrungen und Kenntnisse aufweisen und dauerhaft aufrechterhalten:
- Versicherungs- und Finanzmärkte
- Geschäftsstrategie und -modell
- Governance-System
- Finanzanalyse und versicherungsmathematische Analyse
- Regulatorischer Rahmen und regulatorische Anforderungen
Die Guidelines halten die Versicherer ferner an, ihren Prüf- und Kontrollprozess in einer internen Richtlinie (fit & proper policy) zu dokumentieren, in der folgende Inhalte abgebildet werden müssen:
- Prozedere der fortlaufenden Einschätzung der fit-and-proper-Merkmale für die Geschäftsleitung und Personen in Schlüsselfunktionen
- Situationen, die eine Neubeurteilung der Anforderungen erforderlich machen
- Prozedere zur Beurteilung der Anforderungen für weitere relevante Mitarbeiter
Die Überwachungs- und Eingriffsverantwortung zur Einhaltung der Kriterien unterliegt wiederum den nationalen Aufsichtsbehörden. An diese hat ein Versicherungsunternehmen sämtliche Informationen zu liefern, die für eine grundlegende Beurteilung der fachlichen Qualifikation und Zuverlässigkeit notwendig sind (Art. 42 Abs. 2 SII-RRL). Ein Versicherungsunternehmen hat seiner Aufsichtsbehörde zu melden, wenn eine Person ersetzt wurde, weil sie die Anforderungen nicht mehr erfüllt (Art. 42 Abs. 3 SII-RRL). Ferner ist vorgesehen, dass Geschäftsleiter und sonstige Personen in Schlüsselfunktionen einen aktuellen Zuverlässigkeitsnachweis, etwa in Form eines beanstandungslosen Führungszeugnisses, beizubringen haben (Art. 43 Abs. 1, 3 SII-RRL). Dies deckt sich in weiten Teilen mit den Praxisanforderungen, wie sie im deutschen Aufsichtsrecht vorher schon existierten, was als Beleg für die enge inhaltliche Verknüpfung mit den etablierten regulatorischen Standards gewertet werden kann.
Von großer aufsichtsrechtlicher Bedeutung ist die personelle Zuordnung bezüglich der Frage, welche Mitarbeiter im Unternehmen neben der Geschäftsleitung eine Schlüsselposition einnehmen, also Schlüsselfunktionsträger nach Maßgabe von Solvency II darstellen. Hierzu kann mindestens (aber nicht ausschließlich) auf die in Artikel 44 bis 48 der Rahmenrichtlinie definierten Funktionsträger abgestellt werden:
- Risikomanagementfunktion (Art. 44 Abs. 4 SII-RRL)
- Compliance-Funktion (Art. 46 Abs. 1 SII-RRL)
- Interne Revision (Art. 47 SII-RRL)
- Versicherungsmathematische Funktion (Art. 48 SII-RRL)
Zur Konkretisierung hatte die BaFin im Zuge der Vorbereitungsphase auf Solvency II eine Verlautbarung zum fit-and-proper-Themenblock veröffentlicht (vgl. BaFin-Verlautbarung vom 30.04.2014 zur Vorbereitung auf Solvency II: Prüfung der fachlichen Eignung und Zuverlässigkeit). Hierin wurde auch der Begriff der „Schlüsselaufgabe“ präziser eingeordnet. Dieser ist demgemäß als Oberbegriff zu sehen, der sowohl die Personen, die das Unternehmen tatsächlich leiten, als ausdrücklich auch „andere Schlüsselaufgaben“ umfasst (siehe Abbildung unten). Letztere schließen laut BaFin die Mitglieder des Aufsichtsrates sowie die zuvor aufgezählten vier Schlüsselfunktionen im engeren Sinne ein. Daneben können aber durchaus weitere (andere) Schlüsselaufgaben vorhanden sein, sofern ein Versicherungsunternehmen für sich Bereiche identifiziert, die für den eigenen Geschäftsbetrieb von erheblicher Bedeutung sind. Damit liegt es in der Eigenverantwortung der Unternehmen, etwaige weitere Personen mit Schlüsselaufgaben zu definieren und sicherzustellen, dass auch sie den fit-and-proper-Anforderungen genügen.
Im Zuge der Begriffsklärung stellte die BaFin in ihrer Verlautbarung klar, dass die Verantwortung für eine Schlüsselaufgabe nur bei einer einzelnen natürlichen Person liegen kann, die dann jeweils „verantwortlicher Inhaber“ der Schlüsselaufgabe bzw. Schlüsselfunktion ist. Dazu steht nicht im Widerspruch, dass weitere Personen mit Schlüsseltätigkeiten betraut sein können, wobei stets der verantwortliche Inhaber der Schlüsselaufgabe operativ für die ordnungsgemäße Erfüllung des jeweiligen Aufgabengebietes verantwortlich bleibt. Nur dieser ist auch gegenüber der Aufsichtsbehörde anzuzeigen. Gleichwohl müssen auch Stellvertreter der Schlüsselaufgabenverantwortlichen die Qualifikationsanforderungen erfüllen, was den Unternehmen letztlich klare, transparente und personenbezogene Stellvertreterregelungen abverlangt. Die Letztverantwortung für die ordnungsgemäße Erfüllung der Schlüsselaufgaben liegt bei der Geschäftsleitung, ungeachtet einer eventuellen Aufgabendelegation innerhalb der Geschäftsleitung oder auf nachgeordnete bzw. zugehörige Mitarbeiter. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch eine Ausgliederung (Outsourcing) von Schlüsselaufgaben an einen externen Dienstleister zulässig, wobei auch dessen Schlüsselpersonen ausreichend qualifiziert sein müssen und die Letztverantwortung wiederum bei der Geschäftsleitung des ausgliedernden Unternehmens liegt.
Welche Eignungsanforderungen an die unterschiedlichen Funktionsträger im Detail zu stellen sind, hängt unternehmensindividuell von der spezifischen Geschäftsorganisation mitsamt der zugrunde liegenden Aufbau- und Ablauforganisation, der funktionalen Zuordnung von unternehmerischen Kernaufgaben sowie den Risikomanagementprozessen und Berichtswegen ab. Einzelgesellschafen mit einfach strukturiertem Geschäftsmodell mögen letztlich andere, mitunter universellere Eignungsvoraussetzungen an die eigenen Schlüsselpositionen stellen als multinational agierende Versicherungsgruppen oder stark spezialisierte Anbieter. Vor diesem Hintergrund ist die praktische Umsetzung der fit-and-proper-Anforderungen nicht dogmatisch zu interpretieren, sondern hängt stets von der individuellen Situation und der Struktur des Governance-Systems eines Unternehmens ab.
In diesem Zusammenhang hatte auch die BaFin in ihrer o. a. Verlautbarung herausgestellt, dass die Anforderungen an die fachliche Eignung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Proportionalität zu erfüllen sind. Demnach sind die Anforderungen in der praktischen Umsetzung unter Berücksichtigung der unternehmensindividuellen Risiken bzw. der Art und des Umfangs des Geschäftsbetriebes zu erfüllen. Dies bedeutet, dass die erforderlichen Kenntnisse auf das allgemeine Geschäfts-, Wirtschafts- und Marktumfeld eines Unternehmens zu beziehen sind. Im Falle der Wahrnehmung von Leitungspositionen hat die BaFin den Proportionalitätsgedanken dahingehend ausgelegt, dass entsprechende Leitungserfahrung zwar berücksichtigt werden sollte, aber im besonderen Einzelfall nicht zwingend erforderlich ist. Bei den Anforderungen an die Zuverlässigkeit gesteht die BaFin hingegen keine proportionalen Erleichterungen zu, da in der Aufsichtsphilosophie die Integrität der Personen stets ein einheitliches und angemessenes Niveau haben muss, und zwar unabhängig von der Wesensart, dem Umfang und der Komplexität der mit der Geschäftstätigkeit einhergehenden Risiken.
Anforderungen aus dem VAG
Die weitreichenden Vorüberlegungen der BaFin decken sich in ihrem grundlegenden Profil mit der modernisierten und seit 1. Januar 2016 gültigen Fassung des VAG. Der maßgebliche § 24 VAG (Anforderungen an Personen, die das Unternehmen tatsächlich leiten oder andere Schlüsselaufgaben wahrnehmen) erweitert die vorher schon bestehenden Anforderungen aus § 7a Absatz 1 VAG a.F. um die fit-and-proper-Merkmale aus Solvency II, insbesondere hinsichtlich der Präzisierung von Schlüsselaufgaben. In der Gesetzesbegründung stellt die Bundesregierung hierzu klar, dass anstelle des Begriffs „Schlüsselfunktionen“ bewusst der Begriff „Schlüsselaufgaben“ verwendet wurde. Durch diese Abgrenzung soll verdeutlicht werden, dass sich die Qualifikationsanforderungen nicht zwangsläufig auf die vier Schlüsselfunktionen im engeren Sinne aus Artikel 44 ff. der Rahmenrichtlinie beschränken, was wiederum mit der BaFin-Sicht im Einklang steht. Zu dem Kreis der leitenden Personen gehören ferner nicht nur die Geschäftsleiter, sondern auch etwaige weitere Entscheidungsträger in nachgelagerten Führungsebenen, falls diese Einfluss auf wesentliche Unternehmensentscheidungen haben (vgl. § 24 Abs. 2 S. 1 VAG). Daneben stellt der Gesetzgeber in seiner Begründung heraus, dass zu denjenigen Personen, die andere Schlüsselaufgaben innehaben, auch die Mitglieder des Aufsichtsrats gehören.
Sofern die BaFin Missstände feststellt, kann sie die Abberufung von Geschäftsleitern oder Personen mit Schlüsselaufgaben verlangen und diesen die Ausübung ihrer Tätigkeit untersagen (§ 303 Abs. 2 VAG). Darüber hinaus kommt bei Verstößen grundsätzlich auch eine Haftung im Innenverhältnis zum Unternehmen in Betracht, soweit individuelle Sorgfaltspflichten verletzt wurden.
Welche Anforderungen konkret an die fachliche Eignung zu stellen sind, richtet sich nach der jeweiligen Schlüsselaufgabe und den Zuständigkeiten einer Person im Rahmen der Aufgabenerfüllung. Gleiches gilt in Bezug auf Personen, die das Unternehmen tatsächlich leiten, indem auch hier der individuelle Aufgabenbereich berücksichtigt werden muss. Hingegen sind die Anforderungen an die persönliche Zuverlässigkeit in § 24 Abs. 1 VAG gerade nicht an das individuelle Risikoprofil eines Unternehmens geknüpft.
Die fachliche Eignung soll mittels beruflicher Qualifikationen, Kenntnissen und Erfahrungen explizit eine solide und umsichtige Leitung des Unternehmens sicherstellen (vgl. § 24 Abs. 1 S. 2 VAG). Hierzu gehört auch eine ausreichende Leitungserfahrung, von der bei einer dreijährigen leitenden Tätigkeit bei einem vergleichbaren Versicherungsunternehmen auszugehen ist (S. 4). Auch Regelungen zu Mehrfachmandaten wurden in das modernisierte VAG übernommen (vgl. § 24 Abs. 3 VAG).
Fazit
An die Entscheidungsträger in Versicherungsunternehmen werden besondere Eignungsvoraussetzungen gestellt. Ihre fachliche Qualifikation und persönliche Zuverlässigkeit sind elementare Erfordernisse für den ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb, wie sie auch Solvency II dezidiert einfordert. Sie sind sie im gewachsenen Normensystem der Aufsichtsgesetzgebung bereits seit vielen Jahren ein wichtiges Element, das die BaFin über ihre Regulierungstätigkeit in der Praxis gestaltet und kontrolliert.
Die Eignungsvoraussetzungen an sich beziehen sich nicht allein auf einen bestimmten (Erfüllungs-)Zeitpunkt, sondern erfordern vielmehr eine kontinuierliche Weiterbildung. Hierdurch sollen die Geschäftsleiter und Träger von Schlüsselaufgaben fortlaufend imstande sein, den wechselnden und steigenden Anforderungen an ihr Aufgabengebiet gerecht zu werden. Speziell kleinere Versicherer werden ein Interesse daran haben, den organisatorischen und bürokratischen Aufwand, der mit der Erfüllung der Anforderungen einhergeht, auf ein tragfähiges Maß zu reduzieren. Demnach kommt der konkreten Auslegung des Proportionalitätsgrundsatzes in der Aufsichtspraxis ein besonderer Stellenwert zu.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass im Aufsichtsregime unter Solvency II umfassende fit-and-proper-Kriterien zur Anwendung kommen, die von den Unternehmen sorgfältig beurteilt und ausführlich dokumentiert werden müssen, zumal die Einstufung von Schlüsselaufgaben- und Entscheidungsträgern in letzter Konsequenz individuell und einzelfallbasiert vorzunehmen ist. Das Zuverlässigkeitserfordernis zielt dabei auf grundlegende Hygienefaktoren wie Redlichkeit, Rechtschaffenheit, Verantwortungsbewusstsein und Anstand ab. Darüber hinaus verlangt die Eignungskontrolle den unternehmerischen Entscheidungsträgern geschäftsmodellkonforme Kompetenz- und Erfahrungsnachweise ab, die auf einen hohen Qualifikationsanspruch schließen lassen. Damit präzisiert der Aufsichtsrahmen von Solvency II das regulatorische Selbstverständnis, dass der fit-and-proper-Nachweis von handelnden Personen ein charakteristisches Merkmal der Corporate Governance von Versicherungsunternehmen darstellt.