Das Stornorisiko einer Lebensversicherung bildet einen Verlust oder eine nachteilige Veränderung der Versicherungsverbindlichkeiten ab, die sich aus Veränderungen in der Höhe oder der Volatilität der Quoten hinsichtlich Storno und Optionsausübung des Versicherungsnehmers (wie Kündigungen, Verlängerungen, Beitragsfreistellungen oder Beitragssenkung sowie Rückkauf von Versicherungsverträgen) ergeben. Das Stornorisiko ist also unternehmensindividuell – abhängig von der Produktgestaltung, Vertragslaufzeit, Vertriebswege etc.
Für dieses Risikomodul wird bei der Ermittlung der Kapitalanforderung Szenario-basiert auf die Neuberechnung der Solvency II-Bilanz zurückgegriffen, nachdem die Bilanz einem oder mehreren Schockszenarien ausgesetzt wurde. Denn die angewendeten Schockszenarien beeinflussen die Höhe der einzelnen Bilanzpositionen und führen somit zu Veränderungen der vorhandenen Eigenmittel (NAV: Net Asset Value).
Unter der Standardformel ist für das Untermodul Stornorisiko der Maximalwert der Kapitalanforderungen der folgenden drei Stressszenarien zu verwenden:
a. anhaltender Anstieg der Stornoquoten
Ein dauerhafter Anstieg des Stornostresses und/oder ein sofortiger Massenstorno-stress ist auf Versicherungsverträge anzuwenden, bei denen ein Storno zu einem Verlust für das Versicherungsunternehmen führt. Die Anwendung eines dauerhaften Anstiegs der Optionsausübungsquote um 50% (max. 100%) gilt nur für solche Optionsausübungen, die zu einem Anstieg der versicherungstechnischen Rückstellungen ohne Risikomarge führen. Dadurch lässt sich die Kapitalanforderung für das Risiko „dauerhafter Anstiegs der Stornoquoten“ als das Ergebnis eines wie folgt definierten Szenarios berechnen:
Dabei beschreibt lapseshockup den anhaltenden Anstieg der Optionsausübungsquoten um 50% (s. oben).
b. anhaltender Rückgang der Stornoquoten
Ein dauerhafter Rückgang des Stornostresses ist auf solche Versicherungsverträge anzuwenden, bei denen geringere Stornierungen zur Erhöhung der erwarteten Versicherungsverpflichtungen führen würden. Der Stornorückgang entspricht dem Verlust, der sich aus einem dauerhaften Rückgang der Optionsausübungsquote um 50% ergibt; er darf nicht mehr als 20% betragen und gilt nur in den Fällen der Optionsausübung, die zu einem Rückgang der versicherungstechnischen Rückstellungen ohne Risikomarge führen. Die Kapitalanforderung für das Risiko „dauerhafter Rückgang der Stornoquoten“ berechnet sich dann als das Ergebnis eines wie folgt definierten Szenarios:
Dabei beschreibt lapseshockdown den anhaltenden Rückgang der Optionsausübungsquoten um 50% (s. oben).
c. Massenstorno
Das Massenstorno erfasst den Verlust, der sich aus einer Kombination folgender Optionsausübungen ergibt:
- Kündigungen von Versicherungspolicen in Höhe von 70%, bei denen eine Vertragsbeendigung zu einem Anstieg der versicherungstechnischen Rückstellungen ohne Risikomarge führt und Zahl der Anspruchsberechtigten nicht 20% übersteigt.
- Kündigungen von Versicherungspolicen um 40%, bei denen eine Beendigung des Versicherungsvertrags zu einem Anstieg der versicherungstechnischen Rückstellungen führt.
Die Kapitalanforderung für das Massenstornorisiko ist das Ergebnis eines wie folgt definierten Szenarios:
Dabei gibt lapseshockmass die Kombination der oben aufgeführten plötzlichen Veränderungen an.
Weitere Beschreibungen des szenariobasierten Ansatzes sind dem übergreifenden Beitrag versicherungstechnisches Risiko Leben zu entnehmen.
Vereinfachtes Verfahren
Sofern die Berechnung der Kapitalanforderung für das Stornorisiko einer Lebensversicherung eine unangemessene Benachteiligung für das Versicherungsunternehmen darstellt, wird eine vereinfachte Berechnung unter der Prüfung der Angemessenheit bzgl. Art, Umfang sowie Komplexität des Risikos angewendet.
Eine vereinfachte Berechnung der Kapitalanforderung für eine dauerhafte Veränderung der Stornoquoten lässt sich gemäß Artikel 88 der delegierten Verordnung mit folgender Fallunterscheidung berechnen:
a. Bei dauerhaften Anstieg der Stornoquoten
Hierbei bedeuten
- lup die durchschnittliche Stornoquote der Verträge, die eine positive Differenz zwischen dem Rückkaufswert und den Rückstellungen eine Stornoquote von 67% aufweisen
- nup die durchschnittliche jährliche Duration, über den der Vertrag mit einer positiven Differenz zwischen dem Rückkaufswert und den Rückstellungen abgewickelt wird
- Sup die Summe aller positiven Differenzen zwischen dem Rückkaufwert und den Rückstellungen.
b. Bei dauerhaftem Rückgang der Stornoquoten
Dabei gelten hier die folgenden Abkürzungen:
- ldown durchschnittliche Stornoquote der Verträge, die eine negative Differenz zwischen dem Rückkaufswert und den Rückstellungen aufweisen oder 40%, wenn die Differenz größer ist
- ndown durchschnittliche jährliche Duration, über die der Vertrag mit einer negativen Differenz zwischen dem Rückkaufswert und den Rückstellungen abgewickelt wird
- Sdown Summe aller negativen Differenzen zwischen dem Rückkaufwert und den Rückstellungen.
Die Differenz zwischen Rückkaufwert und Rückstellungen bei Stornoanstieg und Stornorückgang entspricht der Differenz zwischen dem bei Vertragsbeendigung seitens des Versicherungsnehmers durch den Lebensversicherer gegenwärtig zu zahlenden Betrag und dem Betrag der versicherungstechnischen Rückstellungen ohne Risikomarge.
Hintergrundinformationen
Der vorliegende Beitrag basiert auf den folgenden Quellen:
- RICHTLINIE 2009/138/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES, Neufassung 02009L0138 — DE — 13.01.2019 — 009.001 — 5
- Zugrundeliegende Annahmen der Standardformel für die Berechnung der Solvenzkapitalanforderung (SCR), The underlying assumptions in the standard formula for the Solvency Capital Requirement calculation, EIOPA-14-322, 25. Juli 2014, eiopa.europa.eu
- Amtsblatt der Europäischen Union, Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 der Kommission vom 10.Oktober 2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II)
- Delegierte Verordnung (EU)…/… Der Kommission vom 8.3.2019 zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2015/35 zur Ergänzung der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs-und der Rückversicherungstätigkeit (SolvabilitätII)
- Technical Specification for the Preparatory Phase (Part I), EIOPA-14/209, 30 April 2014
Alle Aussagen in dem Artikel sind vorbehaltlich etwaiger Verständnis- und Übersetzungsfehlern.