Ermittlung der Kapitalanforderungen für das Zinsrisiko

Beim Zinsrisiko handelt es sich um das Risiko, das sich auf Wertveränderungen der Basiseigenmittel bezieht aufgrund von Bewegungen der risikolosen Basiszinskurve. Bei der Kapitalanforderung für das Zinsrisiko handelt es sich um den größeren Verlust der Basis-Eigenmittel der sich gegenüber der risikoneutralen Bewertung in zwei Schockszenarien ergäbe, nämlich den Szenarien Zinsanstieg und Zinsrückgang.

Die Berechnung des Zinsrisikos

Die offizielle Definition des Zinsrisikos findet sich in den Artikel 165 bis 167 der Delegierten Verordnung 2015/35. Es handelt sich um ein Untermodul des Marktrisikos, das seit der Einführung von Solvency II keine Anpassung erfahren hat. Die Grundidee ist, dass Wertänderungen betrachtet werden, die durch hypothetische Veränderungen der risikolosen Basiszinskurve (risk free rate - RFR) verursacht werden. Wertänderungen, die z.B. aufgrund von Inflation entstehen, werden nicht berücksichtigt.

Für die risikolose Basiszinskurve wird ein unmittelbarer Anstieg und ein unmittelbarer Rückgang bestimmt, die direkt von dieser Zinskurve abhängen. Andere Änderungen die die Form der Zinskurve betreffen, wie z.B. eine Abflachung, werden nicht berücksichtigt. Die Volatilität der Zinsen wird bis zu einem gewissen Grad über den Grad der Verschiebung abgebildet, das Risiko der Derivate deren Bewertung unmittelbar von der Zins-Volatilität abhängt, wird aber so nicht erfasst.

Die risikolose Basiszinskurve ermittelt sich aus aktuell gehandelten Zinsen, wo der Markt den Kriterien tief, liquide und transparent gerecht wird (deep, liquid, transparent - DLT). Stehen keine DLT-Marktbeobachtungen zur Verfügung, werden Zinsen über die Smith-Wilson-Methodik inter- oder extrapoliert. Neben den Zinsraten gehen eine Konvergenzgeschwindigkeit und eine sogenannte Ultimate Forward Rate ein.

Alle Parameter und die extrapolierten Werte werden für jeden Monat auf der Seite der EIOPA veröffentlicht (https://www.eiopa.europa.eu/tools-and-data/risk-free-interest-rate-term-structures_en).

Die Zinskurven für die Schockszenarien Zinsanstieg und Zinsrückgang bestimmen sich nach der folgenden Tabelle relativ zum Niveau der RFR. Die Verschiebung beträgt an allen Stellen der Zinskurve allerdings mindestens einen Prozentpunkt. Einzige Ausnahme bilden negative Zinsen. Hier wird im Zinsrückgangsszenario keine Veränderung angenommen. Veränderungen für Laufzeiten, die sich nicht in der Tabelle finden, werden linear interpoliert oder im Fall einer Duration von weniger als einem Jahr oder mehr als 90 Jahren konstant extrapoliert.

Restlaufzeit (in Jahren) Zinsanstieg Zinsrückgang
≤1 70% -75%
2 70% -65%
3 64% -56%
4 59% -50%
5 55% -46%
6 52% -42%
7 49% -39%
8 47% -36%
9 44% -33%
10 42% -31%
11 39% -30%
12 37% -29%
13 35% -28%
14 34% -28%
15 33% -27%
16 31% -28%
17 30% -28%
18 29% -28%
19 27% -29%
20 26% -29%
≥90 20% -20%

Abb. 1: Zinskurven für die Schockszenarien

Als nächster Schritt werden für die Aktivseite sämtliche zinssensitiven Kapitalanlagen (Obligationen, Inhaberschuldverschreibungen, Schuldschein-Darlehen, Namensschuldverschreibungen, Zinsderivate, Einlagen bei Kreditinstituten z. B. Sparbrief, Sparbuch, Tagesgeld, Derivate, etc.) sowie für die Passivseite sämtlichen zinssensitiven Verpflichtungen erfasst inklusive der risikomindernden Wirkung durch die mögliche zukünftige Überschussbeteiligungen der Versicherungsnehmer.

Auf dieser Grundlage müssen folgende drei Werte ermittelt werden:

1. Den aktuellen Barwert der ermittelten zinssensitiven Kapitalanlagen und Verpflichtungen:

NAVbase = ∑i PVbase(Ai) - ∑j PVbase(Lj)

2. den hypothetischen Barwert der sich nach einem entsprechend definierten unmittelbaren Anstieg der Zinskurve ergäbe

NAVup = ∑i PVup(Ai) - ∑j PVup(Lj)

3. und den hypothetischen Barwert der sich nach einem entsprechend definierten unmittelbaren Rückgang der Zinskurve ergäbe

NAVdown = ∑i PVdown(Ai) - ∑j PVdown(Lj)

Dabei sei

  • (Ai)i∈I die zinssensitiven Kapitalanalgen
  • (Lj)j∈J die zinssensitiven Verpflichtungen
  • PVbase die aktuelle Barwertsfunktion
  • PVup die Barwertsfunktion im Falle eines Zinsanstiegs
  • PVdown die Barwertsfunktion im Falle eines Zinsrückgangs

Die Kapitalanforderung für das Zinsrisiko entspricht dann dem größeren Rückgang der Basiseigenmittel in den Schockszenarien gegenüber dem risikoneutralen Barwert.

Als Formel ausgedrückt bedeutet das:

SCRint = max ( NAVdown - NAVbase , NAVup - NAVbase , 0)

Neben dieser Netto-Berechnung der Kapitalanforderung, die mögliche zukünftige Überschussbeteiligungen berücksichtigt, wird zusätzlich noch die Kapitalanforderung brutto ohne deren risikomindernde Wirkung berechnet.

Das bedeutet zusätzlich müssen die Werte

NAVupbrut. = ∑i PVup(Ai) - ∑j PVup(L̅j)

und

NAVdownbrut. = ∑i PVdown(Ai) - ∑j PVdown(L̅j)

ermittelt werden, dabei sei

  • (L̅j)j∈J die zinssensitiven Verpflichtungen ohne risikomindernde Wirkung von Überschussbeteiligungen.

Dann ermittelt sich die Brutto-SCR-Forderung als

SCRintbrutto = max ( NAVdownbrut. - NAVbase , NAVupbrut. - NAVbase , 0)

Vereinfachte Berechnung des Zinsrisikos für unternehmenseigene Versicherungen oder Rückversicherung

In der Delegierten Verordnung 2015/35 Paragraph 103 wird eine vereinfachte Berechnung des Zinsänderungsrisikos für unternehmenseigene Versicherungen oder Rückversicherungen erlaubt.

Auch in diesem Fall erfolgt die Berechnung des Zinsrisikos über die Betrachtung eines Zinsanstiegs und Zinsrückgangsszenarios, allerdings sind diese simpler aufgebaut.

Die einzelnen Assets und Verpflichtungen einschließlich risikomindernder Wirkung von Überschussbeteiligungen und versicherungstechnische Rückstellungen werden gemäß Ihrer Duration einzelnen, mehrere Jahre umfassenden Intervallen zugeordnet und dann der Marktwert nach Schock folgendermaßen bestimmt:

Alle einem Intervall zugeordnete Assets und Liabilities werden als ein Cashflow zu einem festgesetzten Zeitpunkt betrachtet. Die für diesen Zeitpunkt festgesetzte Veränderung der Zinskurve im Zinsanstiegs- und Zinsrückgang-Szenario multipliziert mit der Duration des Cashflows wird mit dem Marktwert dieses fiktiven Cashflows wiederum multipliziert, was eine Näherung für den Wertverlust darstellt.

Die Intervalle, denen zinssensitive Assets und Liabilities zu diesem Zweck zugeordnet werden müssen sind Laufzeiten bis zu einem Jahr (zugeordnete Duration 0,5 Jahre), ein bis drei Jahre (zugeordnete Duration 2 Jahre), 5 bis 10 Jahre (zugeordnete Duration 7 Jahre) und schließlich über 10 Jahre (zugeordnete Duration 12 Jahre).

Berücksichtigung des Zinsänderungsrisikos in den Quantitative Reporting Templates (QRT)

Das Zinsrisiko in Form des Marktwertes der zinssensitiven Assets und Liabilities im Basis- Zinsanstiegs- und Zinsrückgangsszenario wird als Teil des Marktrisikos im Meldeformular S.26.01 ausgewiesen. Das Solvenzkapital für das Zinsrisiko ergibt sich als der größere der beiden Verluste, der Betrag also, den das Eigenkapital bei einem dieser beiden Zinsentwicklungen maximal verlieren könnte.

Im Meldeformular wird die Solvenzkapitalanforderung für das Zinsrisiko sowohl brutto (ohne Berücksichtigung der risikomindernden Wirkung möglicher zukünftiger Überschussbeteiligungen) als auch netto (unter deren Berücksichtigung) ausgewiesen.

Ausblick

Das Zinsrisiko stellt gerade für Leben- und Krankenversicherer häufig das größte Einzelrisiko einer Versicherung da. Da es auf Grundlage einer Smith-Wilson-Extrapolation erfolgt, deren Parameter einen wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Zinskurve und damit die Höhe möglicher Schocks haben, unterliegt es nicht nur ökonomischen, sondern auch politischen Einflüssen.

Da sowohl Aktiv- als auch Passivseite in die Berechnung des Zinsrisikos einfließen, ist das Zinsrisiko das Untermodul des Marktrisikos, das Versicherer zur Minimierung der Solvenzkapitalanforderung am stärksten zu einem effizienten Asset-Liability-Management ermuntert.

  • Brutto / Netto – Schock
  • Gruppe Zinskurvenbetrachtung
  • Auswirkung auf Korrelationsmatrix

Hintergrundinformationen

Der vorliegende Beitrag basiert auf den folgenden Quellen:

  1. Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG).
  2. Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (SII RL).
  3. Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 der Kommission vom 10. Oktober 2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II).

Alle Aussagen in dem Artikel sind vorbehaltlich etwaigen Verständnis- und Übersetzungsfehlern.