Versicherungstechnisches Risiko Leben

Lebensversicherungsverpflichtungen

Solvency II weist die Versicherungs- oder Rückversicherungsverpflichtungen bestimmten Geschäftsbereichen zu. Entscheidend für diese Zuordnung ist die Art der aus den Verpflichtungen erwachsenden Risiken: die rechtliche Form der Verpflichtungen ist hinsichtlich der Art des Risikos nicht unbedingt von entscheidender Bedeutung (Art. 55, SII DV).

Den Lebensversicherungsverpflichtungen werden dabei folgende Geschäftsbereiche zugewiesen:

  • GB 29 - Krankenversicherung
  • GB 30 - Versicherung mit Überschussbeteiligung
  • GB 31 - Indexgebundene und fondsgebundene Versicherung
  • GB 32 - Sonstige Lebensversicherung
  • GB 33 - Renten aus Nichtlebensversicherungsverträgen und im Zusammenhang mit Krankenversicherungsverpflichtungen
  • GB 34 - Renten aus Nichtlebensversicherungsverträgen und im Zusammenhang mit anderen Versicherungsverpflichtungen (mit Ausnahme von Krankenversicherungsverpflichtungen)
  • GB 35 - Krankenrückversicherung
  • GB 36 - Lebensrückversicherungsverpflichtungen

Bewertung der Lebensversicherungsverpflichtungen

Grundgedanke der Solvency II-Bilanz ist eine marktwertnahe Bewertung aller Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten. Da insbesondere für die versicherungstechnischen Verbindlichkeiten keine Marktwerte vorliegen, werden diese zu Best Estimate angesetzt, d.h. mit dem nach wahrscheinlichsten Annahmen ermittelten Wert.

Als Best Estimate der Verpflichtungen bezeichnet man den unter Anwendung realistischer Annahmen berechneten Barwert der zukünftigen Zahlungsströme. Die Diskontierung der Zahlungsströme erfolgt dabei auf Basis von Zinssätzen der risikolosen Zinsstrukturkurve. In die Projektion sind alle erwarteten Entwicklungen mit einzubeziehen. Dazu gehören neben wirtschaftlichen und medizinischen auch soziale, demografische und andere relevante Veränderungen. Weiterhin sind implizite Optionen und Garantien zu berücksichtigen.

Unter HGB ergeben sich aufgrund des vorsichtigen Bewertungsansatzes über die impliziten Risikozuschläge bei der Kalkulation der versicherungstechnischen Rückstellungen stille passivseitige Reserven. Diese werden bei der Marktwertbetrachtung nicht mehr berücksichtigt. Stattdessen wird zusätzlich eine explizite Risikomarge berechnet, die zusammen mit dem Best Estimate die versicherungstechnischen Verbindlichkeiten bildet.

Eine solche Bewertung erfordert im Regelfall ein stochastisches Modell. Nur dieses vermag neben Managementhandlungen (z.B. in Bezug auf Höhe der zukünftigen Überschussbeteiligung) auch das Kundenverhalten bei Veränderungen des finanziellen Umfeldes abzubilden. In Deutschland haben sich dazu bestimmte Branchenmodelle etabliert (Branchensimulationsmodell (BSM) des GDV zur Bewertung von Lebensversicherungsverpflichtungen, Inflationsneutrale Bewertung (INBV) des PKV zur Bewertung von Krankenversicherungsverpflichtungen).

Lebensversicherungstechnisches Risikomodul

Das Modul VT Leben bestimmt die Kapitalanforderung aus Versicherungsverträgen, die im weitesten Sinne eine biometrische Komponente beinhalten. Dazu gehören die Geschäftsbereiche GB 30, 31, 32, 34 und 36. Klar ausgeschlossen sind also Krankenversicherungen, da für diese Verträge das Krankenversicherungstechnische Risikomodul herangezogen wird.

Das Risikomodul VT Leben setzt sich zusammen aus den folgenden Untermodulen (§102 VAG):

Die Aggregation der Kapitalanforderungen der einzelnen Untermodule für das lebensversicherungstechnische Risiko erfolgt unter Berücksichtigung der folgenden Korrelationsmatrix:

VT Risiko Leben Sterblich-keit Langlebig-keit Invalidität Kosten Revision Storno CAT
Sterblichkeit 1 -0,25 0,25 0,25 0 0 0,25
Langlebigkeit -0,25 1 0 0,25 0,25 0,25 0
Invalidität 0,25 0 1 0,5 0 0 0,25
Kosten 0,25 0,25 0,5 1 0,5 0,5 0,25
Revision 0 0,25 0 0,5 1 0 0
Storno 0 0,25 0 0,5 0 1 0,25
CAT 0,25 0 0,25 0,25 0 0,25 1

Als wesentliche Treiber des SCR können dabei für das deutsche Versicherungsgeschäft die Untermodule Langlebigkeit, Invalidität, Storno und Kosten identifiziert werden.

Den oben genannten Untermodulen ist gemein, dass ihre jeweilige Kapitalanforderung szenariobasiert ermittelt wird. Dabei wird untersucht, wie sich die Eigenmittel in ihrer Höhe verändern, wenn statt des Best Estimate-Ansatzes alternative Annahmen, d.h. Stressszenario-Annahmen verwendet werden. Dabei ist das jeweilige Stressszenario so kalibriert, dass es mit dem VaR-Ansatz der Solvency II-Bewertung im Einklang steht. Das bedeutet, die Stresse wurden so gewählt, dass deren Eintritt nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,5% erwartet wird.

Berechnung der Kapitalanforderung am Beispiel des Sterblichkeitsrisikos

Abbildung 1: Berechnung der Kapitalanforderung am Beispiel des Sterblichkeitsrisikos

Die Kapitalanforderung eines jeden Untermoduls ergibt sich als Differenz von Basiseigenmitteln unter Best Estimate-Annahmen und Basiseigenmitteln unter Stress-Annahmen. Damit soll also genau so viel Kapital vorgehalten werden, dass die Eigenkapitaleinbußen im Stressfall abgedeckt werden können.

Hintergrundinformationen

Der vorliegende Beitrag basiert auf der folgenden Quelle:

  1. Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG).
  2. Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (SII RL).
  3. Delegierte Verordnung (EU) 2015/35 der Kommission vom 10. Oktober 2014 zur Ergänzung der Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (SII DV).

Alle Aussagen in dem Artikel sind vorbehaltlich etwaigen Verständnis- und Übersetzungsfehlern.